Lieben heißt leben!
Meine Berufungsgeschichte – aufgeschrieben am 23.12.2010, Vorabend unserer Priesterweihe in Rom
„Könntest du dir eine Welt vorstellen, in der alle wirklich die Liebe leben? Wie wäre das wohl?“ Wir standen auf dem Schulhof und diskutierten über diese Frage in der Pause. Gerade mal elf oder zwölf Jahre alt, war es eine Frage voll Idealismus und vielleicht auch Naivität —aber sie war doch auch sehr tiefgründig. So tiefgründig, dass ich mich nach über zwanzig Jahren noch an sie erinnere, als ob es gestern gewesen wäre. Und so machten wir unsere Pläne für eine bessere Welt. Kinder, die noch nichts – oder wenig – von der Realität kannten.
Eine glückliche Kindheit
Ich hatte die Gnade, in einer glücklichen Familie aufzuwachsen. Ich bin das erste von insgesamt vier Kindern, wenn wir auch anfangs lange Zeit zu dritt waren: Thomas, Valentin und Barbara. Markus, der Nachzügler und Sonnenschein unserer Eltern, sollte erst viel später dazukommen, als ich schon fast zwanzig war.
Wenn ich nun auf meine Kindheit zurückschaue, so kommen mir viele schöne Erinnerungen in den Sinn: Wie viele glückliche Sommer in den Bergen, mit Oma und Opa, mit Tanten und Onkels und den zahlreichen Cousins! Wie viele Familienausflüge in die wunderschöne Natur Südtirols, meiner Heimat, wo ich geboren und aufgewachsen bin! Wie viele gemeinsame Stunden im Haus der Großeltern, nach der Sonntagsmesse oder irgendeinem anderen guten Vorwand: Geburtstage, Hochzeiten, Erstkommunion, Namenstage usw.! Es war ein heiles und behütetes Umfeld in der Großfamilie, und erst viele Jahre später wurde mir bewusst, dass dies uns vor vielen Unglücken bewahrt hatte, die ich dann später bei einigen meiner Kameraden bedauern musste.
Meine Eltern – und in Wahrheit die ganze Großfamilie, besonders mütterlicherseits – waren immer sehr engagiert in der eigenen Pfarrei. Es gab ständig etwas zu tun: Krippenspiele, Kinderchor, Katholische Jungschar, Flohmarkt, Seniorenrunde, Vinzenzverein, Weihnachtsgeschenke für arme oder kranke Menschen … Selbstverständlich waren wir auch Ministranten, stolz darauf, in der heiligen Messe so nahe am Altar dienen zu dürfen. Ich werde wohl nie jene Weihnachtsmette vergessen, in der ich wohl kurz über meiner Tarze (das ist ein langer Kerzenleuchter für Messdiener) eingenickt war. Nur durch den beißenden Geruch versengten Haares fand ich wieder zu mir, gerade noch rechtzeitig, um Schlimmes zu verhindern. Oder jenes andere Mal, als mir während der Predigt die Fantasie durchging, und ich mich selbst händefuchtelnd auf der Kanzel sah, die Gläubigen mit Feuereifer zum rechten Christentum bekehrend! Wer hätte gedacht, dass ich Jahre später wirklich einmal die heilige Messe feiern und viele Predigten halten würde?
Nach einer tiefen Glaubenserfahrung meiner Eltern in Medjugorje begannen wir gemeinsam als Familie den Rosenkranz zu beten. Das half uns ungemein, als Familie zusammenzuwachsen. Ich habe mit Bewunderung meinen Vater vor Augen, wie er oft nach der Arbeit in einer schwierigen Periode müde und gedankenverloren, aber doch bemüht, kniend mit uns den Rosenkranz für die ganze Familie betete.
Musik, Bücher, Fußball
Ich bin meinen Eltern jetzt im Nachhinein sehr dankbar, dass sie mich seit frühester Kindheit auf die Musikschule geschickt haben. Zuerst lernte ich Blockflöte. Danach kam der Jugendchor. Das war schon viel lustiger, wir machten auch einige Reisen. Dann folgte Klavier —es war meine Idee gewesen, und ich habe es auch bald wieder bereut. Mein Vater hatte mich gewarnt: „Überleg es dir gut! Wenn du wirklich willst, dass wir dir ein Piano kaufen, was etliches Geld kostet, dann musst du das auch durchziehen bis zum Ende!“ Und so, nach der Anfangsfreude, musste ich für drei Jahre in den Klavierunterricht. Nach dem Klavier wollte ich umsteigen auf Orgel. Ich dachte, das wäre interessanter— und ich konnte in dieser Hinsicht auf den Rückhalt meiner Mutter zählen: sie sah mich wohl schon in ihren Träumen als großer Organist (wenn nicht sogar als orgelnder Pfarrer) Gott die Ehre und Konzerte in aller Welt geben!
Ganz plötzlich erwachte mein Interesse an den Büchern mit der Entdeckung von Vaters Karl-May-Sammlung im Keller: zwar etwas verstaubt, aber beinahe vollständig! Das war der Anfang einer wahren Leidenschaft: ich las in jeder freien Minute zwischen fünf Uhr morgens und elf Uhr abends. Abenteuerbücher, Krimis, Thriller, Science-Fiction, alle nur möglichen und unmöglichen Bücher wurden verschlungen. Einmal las ich sogar „Vom Winde verweht“, mit über 1000 Seiten, innerhalb weniger Stunden!
Schließlich gab es auch noch Fußball. Nicht so sehr im Fernsehen (hatten wir ehe nie viel) als auf dem eigenen Feld: Ich trainierte zwei bis dreimal wöchentlich und spielte am Wochenende. Es war einerseits eine wunderbare Zeit, andererseits aber auch ziemlich anstrengend und sehr zuträglich für meine Willensstärke. Für die Mannschaft musste man oft viele Dinge opfern. Die ersten Jahre fuhr ich meist mit dem Rad zum Training. Die Hinfahrt war ziemlich angenehm, da es ja abwärts ging. Aber die Rückfahrt, etwa 5 km bergaufwärts und das nach fast zwei Stunden Training, war immer eine Herausforderung (ok, ich gestehe, ich hab auch oft geschoben). In diesem sportlichen Umfeld lernte ich vieles schätzen: Freundschaft, Opferbereitschaft, Willenskraft, Mannschaftsgeist.
In jener Zeit begann ich auch die Anziehungskraft des anderen Geschlechts zu spüren und die oftmals berauschende Wirkung des großen Abenteuers des Verliebtseins. Anfangs waren es nur einige unschuldige „Liebesbriefe“ zwischen Kindern, die noch nicht wirklich verstanden hatten, was „Liebe“ wirklich bedeutet. Erst viele Jahre später —paradoxerweise erst als Ordensmann und ganz der großen Liebe Gottes geweiht— begann ich zu verstehen, was es damit eigentlich auf sich hat!
Das Abenteuer meines Lebens
Aber auch in meinem Fall näherte sich unaufhaltsam die wunderbare Pubertät und mit ihr die ersten Anfälle jugendlicher Auflehnung, die dann auch bald und gern in offene Rebellion umzuschlagen pflegte: Rebellion gegen alles, was nach Äußerlichkeit, nach Prinzipien, nach festgefahrenen Regeln schmeckte. In der Familie war es nicht für alle einfach, mich in jener Zeit zu ertragen.
Speziell die letzten Jahre vor dem Universitätsstudium waren für mich selbst eine wahre Tortur und ein fortdauernder Kampf um die sogenannte Freiheit, meine Freiheit: mit Freunden ausgehen, die Suche nach der eigenen Identität, die erste Freundin (natürlich zum Unmut meiner Mutter). Man kann sich ausmalen, wie groß meine Ungeduld war, endlich auf die Uni zu kommen, weg von zuhause, in eine neue Stadt, einem neuen Land, fern jeder Kontrolle und jedem Zwang. Klar, dort hatte ich endlich meine eigene Wohnung (wenn auch gemietet), meinen eigenen Wagen (wenn auch gebraucht), meine eigene Arbeit (wenn auch als „Angestellter“ meines Vaters, verantwortlich für die grafische Gestaltung einer Monatszeitschrift). Das alles gab mir ein Gefühl von Freiheit und von Selbstverwirklichung. Andererseits war das Studentenleben (ich studierte Grafik-Design und Sportwissenschaften in Innsbruck) in vielerlei Hinsicht nicht gerade löblich. Zumindest spürte ich, dass manches nicht im Rechten lag.
In dieser Zeit der Selbstfindung und Selbstbestätigung – ich war zeitweise sogar Studentenvertreter auf der Sportuni – galt es natürlich auch, daran zu denken, an was oder an wen ich eigentlich glaubte, was der Angelpunkt meines Lebens sein sollte. Ein Fixpunkt, wenn auch weg von zuhause, war ganz klar die Messe am Sonntag. Wenn ich auch damals nicht immer zur Kommunion ging, waren es doch diese einfachen Dinge wie z.B. ein paar Gebete oder die Gewohnheit der Sonntagsmesse, welche in meinem Leben einen Kanal offen hielten für die Gnade Gottes. Es war nur eine Frage der Zeit. Und Gott ist geduldig. Für mich hingegen war es eine Zeit des ewigen Hin und Her zwischen dem, von dem ich wusste, es wäre recht, und dem, von dem ich dachte, es wäre besser.
Etwas mehr als nur Spaß im Leben
Um diese meine Suche nach dem Lebenssinn etwas zu erläutern, möchte ich von zwei Erfahrungen erzählen. Die erste handelt von einem Abenteuer, das erklärt, wie sehr Gott mir diese „Sehnsucht nach mehr“ ins Herz gelegt hatte. Während sich alle Welt seit Jahren auf den großen Jahrtausendwechsel vorbereitete, planten auch wir unter Freunden jedes Jahr „unsere Silvesterfete“. Diese Feste mussten natürlich mit jedem Jahr toller und verrückter ausfallen, weitab von jeder Kontrolle, meist auf irgendwelchen Berghütten, und hatten sich sogar einen recht bekannten Namen gemacht. Es war zwar jedes Mal recht lustig —wir waren schließlich jung, und man lebt nur einmal!—, aber das Ganze artete langsam aber sicher zu einem regelrechten „Spaßzwang“ aus.
Als sich nun das berüchtigte Jahr 2000 näherte, hatte ich eines Tages diese krampfhafte Spaßgesellschaft satt. Etwas völlig anderes musste her. So fasste ich mit zwei Freunden den Entschluss, zu Silvester um Mitternacht auf dem Gipfel unseres Hausberges, dem Ifinger (2.581 m), das neue Jahrtausend zu begrüßen. Eine wahrlich tolle Idee! Es gab nur zwei „kleine Details“ welche das ganze Unternehmen in Frage stellten: Wir mussten bei Nacht hinauf und es gab nach Weihnachten mehrere Meter Schnee auf dem Gipfel!
Trotz dieser widrigen Umstände ließen wir uns nicht einschüchtern, und starteten am Silvesterabend unsere Exkursion, nachdem wir vorher schon den Berg bei Tag bestiegen und so den Weg gesichert hatten. Noch am Parkplatz trafen wir mehrere Kameraden, die auf dem Weg zu einer Silvesterfete waren: „Was? Ihr wollt jetzt noch auf den Ifinger? Seid ihr verrückt? Besser bleibt hier unten, es beginnt gerade die Party!“ Unbeirrt stapften wir weiter. Und trotz Schnee, Kälte, Dunkelheit und Zeitdruck haben wir’s geschafft! Nach knapp drei Stunden erreichten wir kurz vor Mitternacht den letzten Einstieg! Nur noch ein paar Meter über die Felsen, an der Kette entlang, und wir waren oben. Es war wirklich eine Wucht, dort oben auf dem Gipfel zu stehen und die nächtliche Aussicht auf die umliegenden Berge, die Sterne, die Städte und die Feuerwerke weit unter uns zu genießen!
Dankbar für all das Erlebte während des vergangenen Jahres, stimmten wir ergriffen das „Großer Gott wir loben dich“ an. Ich dachte an all meine Freunde dort unten, die in jenen Momenten ihre Zeit und ihre Energien in Oberflächlichkeiten vergeudeten. Wir hatten etwas ganz anderes vollbracht, etwas, das uns für immer bleiben würde! Und genau dieses Streben nach mehr, diese Sehnsucht, etwas wirklich Großes aus meinem Leben zu machen, gab mir Erfüllung. Ich denke, das war auch ein wichtiger Faktor, der mir später helfen sollte, die Berufung zum Priestertum zu erkennen.
Die zweite Erfahrung oder, sagen wir, „Zutat Gottes“ im Cocktail meines Lebens, die er mir tief ins Herz gelegt hatte, war ein unglaubliches Verlangen nach Liebe. Die Liebe bewegt alles, jeder Mensch ist von ihr bewegt, spürt in sich diese natürliche Anziehungskraft der Liebe, die oft besonders in der Jugend (aber nicht ausschließlich) zu wahrer Leidenschaft werden kann.
Während meiner Studienzeit habe ich auch die liebende Zuneigung eines Menschen erfahren und ich danke Gott für diese schönen Momente. Es war eine wundervolle Zeit, auch wenn es doch so einiges gab, das mich unerfüllt ließ. Auf diese Weise wollte Gott mir zeigen, dass er in seiner Barmherzigkeit einige zu einer größeren Liebe bestimmt hat. Gewiss, es ist mir schwer gefallen, auf diesen menschlichen Aspekt der Liebe zu verzichten, aber die Freude und das Glück, mich ganz meinem Schöpfer zu schenken, ist unbezahlbar, und ich bin Gott unendlich dankbar, dass er mich zuerst und von jeher liebte, und mir seine Liebe bis zum Tod am Kreuz gezeigt hat!
Missglückte Rettungsaktion
1993 waren zum ersten Mal Legionäre Christi bei uns zuhause. Damals hatte ich ein etwas gespaltenes Verhältnis zu diesen eigentümlichen Priestern: Zuerst einmal musste ich mein Zimmer an sie abtreten; dann stellten sie viele Fragen und waren auch noch immer so gut aufgelegt (ich war wohl neidisch!). Fazit: Immer wenn Legionäre bei uns vorbeikamen, hatte ich „sehr viel zu tun“.
Aber dann kam jener schicksalsträchtige Januartag im Gnadenjahr 2000, als mein Bruder Valentin, kürzlich aus Rom heimgekehrt, der ganzen Familie feierlich offenbarte, er würde ins Noviziat der Legionäre Christi eintreten. Ich stand da wie ein begossener Pudel. Klar, ich hatte auf meine Weise versucht, als authentischer Christ zu leben (und oft zu über-leben) in einer Welt, die offenbar allem entgegentrat, was die katholische Kirche für richtig hielt. Sicher war ich nicht ein Musterkatholik. Aber jedenfalls konnte ich aufrichtig sagen, dass ich in allem die Wahrheit suchte und in Wahrhaftigkeit zu leben versuchte. Die Eröffnung meines Bruders war jedoch für mich und für viele unserer Verwandten und Bekannten wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Und während Valentin nach wenigen Tagen „verduften“ konnte, durfte ich allen anderen die Gründe und Erklärung für seine Entscheidung geben, eine Erklärung, die ich selber nicht hatte. War er etwa doch durchgedreht? Einfach so sein junges Leben hinzuschmeißen: Studium, Arbeit, Zukunft, Freunde, Pläne … und sich ins Kloster einzusperren? Ich verstand gar nichts mehr. Wer waren diese Legionäre Christi, und was wollten sie?
Als ich aus dem Grübeln nicht herauskam, setzte ich mich eines schönen Tages —ich erinnere mich gut, es war Samstag, der 26. Februar 2000— mit zwei Freunden ins Auto und fuhr einfach ins Noviziat nach Gozzano, in der Nähe von Mailand. Natürlich ohne jemandem vorher Bescheid zu geben. Wir würden schon herausfinden, wo mein Bruder da gelandet war! Groß war meine Überraschung, als ich statt eines traurigen und trostlosen Konvents fünfundzwanzig junge Männer vorfand, denen die Kraft, die Freude und das Glück geradezu aus den Augen sprangen! Mir blieb glatt die Spucke weg: Wie konnten diese Jugendlichen, obwohl sie alles zurückgelassen hatten, so zufrieden sein? Und ich war irgendwie neidisch. Weil aber mein Bruder Valentin an jenem Nachmittag den Katechismusunterricht in einem der umliegenden Dörfer halten musste, steckte man uns kurzerhand in einen Einkehrtag für Jugendliche, welcher „zufällig“ an jenem Tag im Noviziat stattfand. Na großartig! Das war wohl das Letzte, das wir in jenem Moment ersehnten. Aber wir hatten nicht wirklich eine große Wahl. Wer hätte geahnt, dass dieser Tag so viele wichtige Gnaden für mein Leben bringen sollte?!
Diesem ersten Besuch im Noviziat (mit Einkehrtag und ordentlicher Lebensbeichte) sollten mehrere folgen, etwa jeden Monat. Dieser Ort übte auf mich eine einzigartige Anziehung aus, mit seinem Frieden, seiner Heiterkeit, seiner Stille. Ich konnte jedes Mal neu auftanken inmitten des täglichen Kampfes um Gradheit, Reinheit und Wahrhaftigkeit. Die monatliche Beichte und das geistliche Gespräch halfen mir ungemein, Gott und mich selbst immer besser kennen und lieben zu lernen, und meinen Glauben zu leben. Ich begann, mich ernsthaft für die Bewegung Regnum Christi zu interessieren.
Als mich kurz nach Ostern einige Jugendliche nach Mexiko auf „Mission“ einluden, habe ich nicht lange überlegt: „Natürlich bin ich dabei!“ Ich dachte, wir würden armen Leuten Lebensmittel bringen und sowas, aber als wir dann dort waren, stellte sich heraus, dass wir dem dortigen Pfarrer helfen sollten, in mehreren abgelegenen Dörfern seine Schäfchen wenigstens einmal im Jahr zu sammeln. So sprachen wir also fast einen Monat lang jeden Tag mit hunderten von Leuten über Gott und den Glauben. Wir luden sie ein in die Kirche, zur Beichte, zur heiligen Messe. Was anfangs äußerst schwierig erschien — man bedenke, dass ich damals noch kein Wort Spanisch sprach —, stellte sich aber bald als wahre Freude heraus: Wer großzügig gibt, empfängt im Überfluss (und die mexikanischen Kinder mit ihrem Charme machten den Rest)!
Bei meiner Rückkehr aus Mexiko lud mich P. Giuseppe, jener Pater, der damals den folgenschweren Einkehrtag im Noviziat gepredigt hatte, ein, noch ein paar Tage in Rom zu bleiben, und ich nahm das Angebot dankend an. Wir waren ja im Jubiläumsjahr 2000, und in jenen Tagen fand gerade der Weltjugendtag mit Johannes Paul II. und zwei Millionen Jugendlichen statt. So wohnte ich für einige Tage im Generalat der Legionäre Christi in Rom, gemeinsam mit anderen Jugendlichen, die in jenem Sommer ernsthaft über ihre Berufung nachdachten. Noch war es mir nicht in den Kopf gekommen, dass vielleicht das Priestertum auch für mich eine Option sein könnte, aber ich spürte, dass Gott mir etwas Wichtiges sagen wollte.
Erst nach langem Ringen vor dem Tabernakel war ich imstande —zum ersten Mal—, mich ernsthaft der Frage zu stellen, ob Gott nicht doch vielleicht, teilweise, scheinbar, notfalls … mich einladen könnte, mein Leben ganz ihm zu weihen. Ich hatte wohl mit versteckter Bewunderung die weit über vierhundert Legionäre beobachtet, jung und glücklich, obwohl sie Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobt hatten. In einem Anfall von Großmut (wenn auch nach langem inneren Kampf) rang ich mich durch: „Wenn die das geschafft haben und wenn du, Gott, das wirklich möchtest, dann kann ich das auch. Aber du musst mir helfen!“
Es ist unmöglich, den Frieden und die innere Ruhe zu beschreiben, die in jenem Augenblick über mich kamen. Es war, als ob mehrere Tonnen Felsbrocken von meiner Seele einfach verschwunden wären! Das Gefühl der Freude und der Geborgenheit in Gott, das mich überkam, war so überwältigend, dass ich noch immer, nach Jahren, Trost und Kraft in schwierigen Zeiten darin finden kann. Jetzt musste ich es nur noch irgendwie meiner Familie beibringen.
Die Reaktion
Wenige Tage später saß ich vor meinen Eltern. Es hatte sich ergeben, dass wir gemeinsam in die Pizzeria wollten, und ich war ziemlich nervös. Als das Abendessen dem Ende zuging, ließ ich endlich die Katze aus dem Sack. Großes Schweigen. Sie konnten es fast nicht glauben: „Wie? Du auch?“ Aber dann folgte sofort eine herzhafte Umarmung von jedem und dazu der elterliche Segen. Am meisten beeindruckten mich die Tränen in den Augen meines Vaters. Er ist ein großer Mann von fast zwei Metern. Nie hatte ich ihn weinen sehen. Aber es waren Freudentränen, Tränen der Dankbarkeit, des Stolzes auf seinen Sohn.
Ich bin meinen beiden Eltern wirklich sehr dankbar, dass sie auch ihren Erstgeborenen großherzig an Gott zurückgegeben haben. In all diesen Jahren konnte ich immer auf ihr Gebet und ihren geistigen Rückhalt zählen. Auch viele andere Menschen haben stets für Valentin und mich gebetet, und ich danke allen aufrichtig dafür! Die lange Zeit unserer Ausbildung war immer eine Art „Heimspiel“: mit der Sicherheit, ein Heer auf Knien hinter uns zu haben. Mir hat das immer viel Kraft und Motivation gegeben, um durchzuhalten bis zum heutigen Tag!
Lieben heißt Leben
Die große Lektion Gottes für mein Leben heute ist folgende: Wer leben will, muss lieben. Denn Lieben heißt Leben! Nach so vielen Jahren, und eigentlich erst seit ich mich ganz Gott, der Liebe selbst, weihen durfte, habe ich die Antwort auf all meine Sehnsüchte und den Sinn meines Lebens gefunden: zu lieben, und nicht auf menschliche Weise; lieben auf göttliche Weise: sich schenken, jeden Tag aufs Neue. Danke, Herr, für deine Güte!
P. Thomas Maria Gögele wurde am 28. November 1977 in Meran in Südtirol geboren. Nach dem Abitur studierte er Sportwissenschaften und Grafik-Design in Innsbruck. Im September 2000 trat er ins Noviziat der Legionäre Christi in Gozzano (Italien) ein und absolvierte danach humanistische Studien in Salamanca (Spanien) und das Bakkalaureat in Philosophie in Rom. In seinem zweijährigen Praktikum arbeitet er als Präfekt in einer Schule der Legionäre Christi in Monterrey (Mexiko). Danach folgte das Theologiestudium in Rom und ein weiteres Praktikum im Noviziat in Gozzano. Seit Herbst 2010 ist er in der Jugendseelsorge in Österreich tätig.